Grippe, Masern, Kinderlähmung und Tollwut – all diese Krankheiten werden von Viren verursacht. Noch lassen sich viele dieser Erreger nicht direkt bekämpfen, doch gegen etliche kann man den Körper vorbeugend stärken. Das unermüdliche Forschen von Wissenschaftlern wie Louis Pasteur, eines berühmten Chemikers und Mikrobiologen in Frankreich (1822 – 1895), führte zu der Entdeckung der Bakterien. Doch waren mit den neuen Erkenntnissen nicht alle Rätsel gelöst.
Im letzten Viertel des neunzehnten Jahrhunderts gab es immer noch eine Reihe von Krankheiten, über deren Ursachen man sich nach wie vor nicht sicher war. Die Wissenschaftler vermuteten als Auslöser zwar Bakterien, konnten sie aber nicht nachweisen. Pasteur trat dann 1885 den Beweis für die Vermutung an, dass es sich bei Tollwut um eine Infektionskrankheit handeln müsse. Aus dem Rückenmark tollwütiger Tiere gewann er nämlich einen Impfstoff, den er mit Erfolg erprobte. Konnte man impfen, mussten Erreger zugrunde liegen. Pasteur konnte diese nicht nachweisen, glaubte aber, dass er sie nur nicht sichtbar machen konnte, weil seine Mikroskope beziehungsweise deren optische Linsen nicht stark genug vergrößerten.
Das erste Virus, das dann 1892 gefunden wurde, ließ keine Menschen oder Tiere erkranken, sondern Pflanzen. Es handelte sich um das Tabakmosaikvirus, das zur Tabakfleckkrankheit führt. Nur kurze Zeit darauf erkannte man, dass auch die gefürchtete Maul- und Klauenseuche der Rinder auf einen viralen Erreger zurückgeht. Schon früh wussten die Forscher außerdem, dass sich Viren auf Zellen von Tieren, Menschen und Pflanzen spezialisieren. Nur die Darstellung der Viren gelang lange nicht. Die kleinsten konnte man erst mit der Möglichkeit zu einer 40.000fachen Vergrößerung durch Elektronenmikroskope sichtbar machen.
Viren zählen zu den kleinsten Mikroorganismen, die wir kennen. Sie erreichen einen Durchmesser von 20 bis 250 Nanometer (1 Nanometer = 1 millionstel Millimeter = 1/1.000.000 mm). Bakterien werden zwischen 500 und 5000 Nanometer (nm) groß. Im Gegensatz zu diesen lassen sich Viren nur in lebenden Zellen vermehren. Auf künstlichen Nährböden wachsen sie nicht. Bakterien haben auch einen eigenen Stoffwechsel, durch den sie überleben und sich vermehren, Viren dagegen nicht. Sie sind auf eine Wirtszelle angewiesen, deren Stoffwechsel sie dann benutzen. Da die Stoffwechselvorgänge die eigentlichen Lebensprozesse sind, diskutiert die Fachwelt auch, ob die Viren der belebten oder der unbelebten Materie zuzurechnen sind. Im wesentlichen bestehen Viren aus dem Material mit der Erbinformation, der Virusnukleinsäure, und einer Proteinhülle.
Dieser dünne Eiweißmantel, der auch als Kapsid bezeichnet wird, stabilisiert den Mikroorganismus für die Zeit der Übertragung. Einige Viren haben auch noch eine zweite Hülle (Envelope), die ebenfalls dem Schutz dient. Das Kapsid kann viele Formen haben, anhand derer man die Virenarten unterscheidet. Die Hülle setzt sich aus einer Vielzahl jeweils baugleicher Proteineinheiten, den Kapsomeren, zusammen. Die häufigste Form, die sie ergeben, ist der Ikosaeder, ein regelmäßiger Zwanzigflächner. Das Virus, das Kinderlähmung verursacht, hat beispielsweise diese Form, das Pockenvirus dagegen eine Ziegelsteinform. Anhand dieser unterschiedlichen Formen werden die Viren klassifiziert. Die entsprechende Betrachtung geschieht heutzutage unter dem Elektronenmikroskop.
Das Kapsid umschließt das Material mit der Erbinformation, die Virusnukleinsäure. Zellen von Tieren und Menschen enthalten als Träger beziehungsweise Überträger der genetischen Information in aller Regel zwei Nukleinsäuren, die Desoxyribonukleinsäure (DNS) und die Ribonukleinsäure (RNS). Im Gegensatz dazu sind Viren immer nur mit DNS oder nur mit RNS ausgestattet. Die jeweilige Virusnukleinsäure trägt alle genetischen Informationen und Steuersignale, die gebraucht werden, um die Wirtszelle zur Produktion weiterer baugleicher Viren anzuregen.
Auflösung der Hülle
Viren dringen mit ihrer RNS oder DNS in die jeweilige Wirtszelle ein und bemächtigen sich wie Piraten fremder Schiffe der Stoffwechselvorgänge. Sie heften sich zuerst an bestimmten Kontaktstellen der Wirtszelle an. Dann löst sich ihre Proteinhülle auf, und die Virus-DNS oder -RNS dringt in die Zelle ein und beginnt ihren Stoffwechsel zu steuern. Die Wirtszelle untersteht damit gewissermaßen dem Kommando des Virus. Sie produziert nicht mehr die zelleigenen Proteine, sondern Virusproteine und Virusnukleinsäure. Aus diesen beiden Materialien bilden sich so lange neue Viren, bis das Baumaterial der infizierten Wirtszelle erschöpft ist. Die neu gebildeten Viren werden als Virionen bezeichnet. Sie sind ebenfalls durch einen Proteinmantel, ein Kapsid, geschützt und somit infektionstüchtig. Da sich aus der Virusvermehrung zahlreiche Zellschädigungen für die Wirtszelle ergeben, stirbt diese schließlich ab. Die Zellmembranen lösen sich auf, und die Viren werden freigesetzt. Sie befallen weitere Wirtszellen und produzieren eine neue Virusgeneration.
Der Vermehrungsprozess der Viren wird auch als Replikation bezeichnet: Dabei kopiert sich das Erbmaterial fortlaufend aus sich selbst heraus. Virale Erkrankungen sind meist hochinfektiös. Masern breiten sich zum Beispiel sehr schnell aus. Vor Einführung der Schutzimpfung gegen Masern erkrankte fast jedes Kind daran. Früher kam es gewöhnlich alle zwei Jahre zu einer sehr schweren Masernepidemie. Das Masernvirus wird wie viele andere durch Tröpfcheninfektion übertragen. Niest und hustet der Patient, gelangt der Erreger in die Luft, und weitere Menschen atmen ihn ein.
Die die Kinderlähmung verursachenden Polioviren gelangen über die Verdauungsorgane in den Körper. Togaviren, zu denen man auch das Gelbfiebervirus zählt, werden durch den Biss befallener Insekten übertragen. Bei der Tollwut, der lebensgefährlichsten aller Infektionskrankheiten, führt der Biss eines „rasenden“ Tieres zur Ansteckung. Der AIDS verursachende HIV-Erreger breitet sich durch Geschlechtsverkehr und über infiziertes Blut aus. Das Rhinovirus, verantwortlich für Erkältungen, dringt in die Zellen der Nasenschleimhaut ein und führt zu Symptomen an den oberen Atemwegen.
Viren im Labor
Viren sind besonders schwer zu züchten, da sie für ihre Replikation (Vermehrung) auflebende Zellen angewiesen sind. Lange Zeit gelang es nicht, Viren im Labor wachsen zu lassen. Man konnte sie lediglich von einem Versuchstier auf das nächste übertragen. Die Erkenntnis, sie in befruchteten Hühnereiern züchten zu können, war eine entscheidender Schritt nach vorn. Die Erreger von Grippe, Mumps und Herpes lassen sich heutzutage reproduzieren, indem man infiziertes Gewebe in ein Ei injiziert. Es wächst dann im Ei eine Reihe winziger Virenkolonien. In einem nächsten Schritt entwickelte man Gewebskulturen aus Säugetierzellen, die man in der Retorte gezüchtet hatte. Diese Verfahren sind weniger für die Laboruntersuchungen als für die Gewinnung von Impfstoffen außerordentlich wichtig geworden. Denn wenn überhaupt, kann man sich gegen Viruserkrankungen auch heutzutage nur durch Impfungen schützen. Gegen Viren gibt es bisher keine durchschlagenden Medikamente.
Die antivirale Chemotherapie steht trotz aller Fortschritte noch am Anfang. Für einige Erkrankungen gelang die Entwicklung von Medikamenten, die zwar zu einer Linderung und zu einer Besserung im Zustand des Patienten führten, die Infektion jedoch nicht grundlegend bekämpfen konnten. Auf Antibiotika sprechen Viren nicht an. Das gilt insbesondere für Erkältungen sowie für Grippe, aber auch für bestimmte Kinderkrankheiten wie Mumps, Masern und Kinderlähmung. Lediglich bei sehr gefährdeten Patienten, wie Dialysepatienten und Krebskranken, ist der Einsatz von Antibiotika gerechtfertigt, um bakterielle Zweitinfektionen zu verhindern. Bei Viruserkrankungen hat man zur Zeit lediglich die Möglichkeit, das körpereigene Immunsystem des Infizierten zu stärken und zu mobilisieren, damit der Körper die Krankheit unter Kontrolle bringt. Das kann in sehr schweren Fällen bedeuten, dass dem Patienten Immunglobuline verabreicht werden. Immunglobuline sind Eiweiße, die ein gut funktionierendes Immunsystem als Antikörper eigentlich selbst produziert.
Vorbeugung
Gegen viele virusbedingte Krankheiten kann man in Form von Impfungen vorbeugen. Diese sind außerordentlich wirkungsvoll. Man impft heutzutage erfolgreich gegen Masern, Röteln, Gelbfieber, Kinderlähmung und Tollwut. Auch die Pocken wurden auf diese Weise unter Kontrolle gebracht. Zwar ist das Pockenvirus nicht ausgerottet, doch gibt es weltweit seit den siebziger Jahren laut Weltgesundheitsorganisation keine Pockenerkrankungen mehr.
Es scheint zur Zeit jedoch immer noch unmöglich, für einige Viren den passenden Impfstoff zu finden. Dazu zählen auch die Grippeviren. Sie haben nämlich die Eigenschaft, ihre Eiweißstrukturen im Laufe der Übertragung verändern zu können: Sie werden resistent (widerstandsfähig). Durch winzige Abweichungen in ihrem Aufbau führen sie das Immunsystem in die Irre und sind für seine Abwehrstoffe nicht mehr angreifbar. So kommt es zu immer neuen Grippeerkrankungen oder Grippeepidemien. Generell ist zu empfehlen, das körpereigene Immunsystem durch eine gesunde Lebensweise und ausgewogene Ernährung zu stärken. Je geschwächter das Immunsystem ist, desto leichter wird der Körper für Viren angreifbar.