Neurosen
Neurosen sind die Hauptgruppe der psychogenen Störungen. Sie sind nicht organisch bedingt. Ganz allgemein handelt es sich bei Neurosen um überzogene Reaktionen auf die Schwierigkeiten des Daseins und auf innere Konflikte. Wir verspüren alle durch äußere Umstände ausgelöste Stimmungsschwankungen und Reaktionen von Trauer, Zorn oder Angst. Treten diese Empfindungen sehr viel heftiger und häufiger zutage oder halten sie weit länger an als angesichts der ursächlichen Situation angemessen wäre, werden sie als Neurosen bezeichnet. In einer solchen Situation bedarf der Betroffene der Hilfe psychologisch geschulter Therapeuten. Die häufigsten neurotischen Erkrankungen sind allgemeine Angst, Phobien, Konversionsreaktionen, Besessenheits- oder Zwangszustände. Sie alle sind behandlungsbedürftig.
Angstzustände können sich in zweierlei Formen äußern: als „frei flottierende“, nicht situationsbezogene Angst und als Phobien. Die erstgenannte ist ein ganz allgemeines, unerklärliches Gefühl, das den Betroffenen am Einschlafen hindert oder daran, sich zu konzentrieren; sein Herz pocht dabei heftig, und er verspürt eventuell häufigen Harndrang. Phobische Angst hingegen manifestiert sich in panikartigen Empfindungen nur in bestimmten Situationen, beispielsweise beim Aufenthalt inmitten einer Menschenmenge oder beim Anblick eines bestimmten Tieres. Konversionsneurosen (hysterische Neurosen) können mit körperlichen Symptomen und Gedächtnisstörungen einhergehen, die sich aus Angstzuständen heraus entwickeln. Zum Beispiel kann ein Ehemann, der über die Treulosigkeit seines Partners aufgebracht ist, den Drang verspüren, ihn zu schlagen. Gleichzeitig hat er aber Angst, ihn zu verletzen. Plötzlich versagt in seinem rechten Arm die Kraft, die ihn daran hindert zuzuschlagen, selbst wenn er es wollte. Dies steigert sich zu einer anhaltenden psychischen Lähmung. Besessenheits- und Zwangsneurosen zeigen sich darin, dass der Betreffende eine Handlung fortwährend wiederholen muss (z. B. Waschzwang), weil er vor den Konsequenzen Angst hat, die er heraufbeschwört, wenn er diese Handlungen nicht ausführt. Eine depressive Neurose ist weit ernsthafter, als das bloße Gefühl, unglücklich zu sein, das – als ganz normale Gemütsbewegung – jeder Mensch hin und wieder verspürt. Depressive Neurosen sind gleichbedeutend mit einer massiven Störung, in deren Rahmen die Betroffenen oftmals Schwierigkeiten haben, das Leben ohne Hilfe von außen zu meistern.
Persönlichkeitsstörungen
Die Persönlichkeit jedes Menschen, Dinge zu betrachten und auf andere Menschen und Situationen zu reagieren, ist einzigartig. Es gibt zahlreiche Persönlichkeitsmerkmale, die sich in uns vereinigen, wobei der eine oder andere Faktor besonders ausgeprägt ist. So neigt eine Person beispielsweise zu Zurückhaltung, eine andere zu Stimmungsschwankungen. Persönlichkeit macht die Menschen verschiedenartig und interessant. Sind jedoch bestimmte Merkmale zu stark ausgeprägt, kann dies für den Betreffenden zum Problem im Umgang mit anderen Menschen werden. Unter Stressbedingungen, beispielsweise bei psychischer Erkrankung oder auch bei extremer psychischer Anspannung, treten charakteristische Persönlichkeitsmerkmale besonders hervor.
Psychosomatische Störungen
Bei dieser Kategorie psychogener Erkrankungen spielen physische und psychische Elemente gleichermaßen eine Rolle. Bestimmte Krankheiten wie Magen- Zwölffingerdarmgeschwüre, Bluthochdruck oder Herzjagen schreibt man ganz oder teilweise einer emotionalen Ursache zu, als deren Folge es zu physischen Veränderungen kommt. Die Diagnose „psychosomatisch“ wird oft von Ärzten voreilig gestellt, wenn eine andere Ursache von Symptomen nicht ohne weiteres zu ermitteln ist. Nur ein Psychiater besitzt letztlich die Voraussetzungen für eine solche Beurteilung. Und selbst der Psychiater ist sich mitunter nicht sicher. Die Behandlung der psychosomatischen Krankheiten schließt Körper und Seele ein. Ist beispielsweise nach Ansicht des Arztes das Magen-Darm-Geschwür eines Patienten zumindest teilweise emotionalen Problemen zuzuschreiben, ist unter Umständen neben der medikamentösen auch eine psychotherapeutische Behandlung erforderlich.
Psychiatrische Behandlung
Das Behandlungsspektrum für seelische Erkrankungen ist breit gefächert und reicht von der Einzel- oder Gruppentherapie bis hin zu verschiedenen Formen der medikamentösen Behandlung.
Psychotherapie: Bei ihr handelt es sich um die Behandlung emotionaler oder geistiger Störungen weitgehend in Form von Gesprächen. Es gibt mehrere Methoden, einen Patienten zu behandeln. Die einfachste Form ist die unterstützende Therapie, in deren Verlauf der Patient zum Aufbau seines Selbstbewusstseins Zuwendung, Ermunterung und Anerkennung erfährt. Eine weitere grundlegende Form der Psychotherapie sind aufdeckende Verfahren, es ist das Ziel, dem Patienten aufzuzeigen, wo möglicherweise die Konflikte liegen. Dazu bedienen sich die Therapeuten verschiedener Therapiemethoden.
Verhaltenstherapie: Bei dieser Therapie gibt der Therapeut dem Patienten klare Übungsprogramme, durch die er bestimmte Verhaltensweisen oder emotionale Reaktionen „verlernen“ soll. Besonders erfolgreich ist diese Therapie bei Phobien und Zwangsneurosen. So würde man beispielsweise einem Patienten, der den Zwang verspürt, sich fortwährend zu waschen, die Erfahrung vermitteln, dass kein Unheil geschieht, wenn er das Händewaschen unterlässt. In den meisten Fällen verliert sich die Zwangsneurose ziemlich rasch.
Psychodrama (Teil der Gestalttherapie): In diesem Verfahren wird dem Patienten seine Situation und insbesondere deren mögliche Wirkung auf andere Menschen seines Lebenskreises durch die szenische Darstellung seiner Probleme begreiflich. Der Patient übernimmt dabei beispielsweise die Rolle des eigenen Partners oder des Vaters.
Beschäftigungstherapie: Zu dieser Therapieform zählt auch die Musiktherapie und die künstlerische Beschäftigung. Sie hilft dem Patienten, seine Empfindungen auszudrücken, so dass er sie entwickeln und akzeptieren kann und danach allmählich beginnt, unabhängig und selbständig zu werden.
Medikamente: In der Psychiatrie spielen die verschiedenen Behandlungsmethoden eine bedeutsame Rolle, doch entscheidend verbessert haben sich die Aussichten für psychisch kranke Menschen durch den Einsatz moderner Medikamente. Sie machten es möglich, dass schwere psychische Erkrankungen wie Psychosen therapiert und psychische Störungen so weit gemildert werden können, dass eine gezielte Psychotherapie einsetzen kann. Bei einer Depression oder bei Schizophrenie brauchen sich die Patienten heute nicht mehr so hilflos zu fühlen, wie dies in der Vergangenheit noch der Fall war. Durch Antidepressiva und Tranquilizer lassen sich die Symptome zahlreicher seelisch-geistiger Erkrankungen unter Kontrolle halten. Bei den zur Behandlung eingesetzten Pharmaka unterscheidet man im wesentlichen zwischen vier Gruppen: Tranquilizer (Anxiolytika = angstlösende Mittel) helfen dem Patienten durch den Abbau von Spannungen. Sie versetzen psychisch kranke oder gestörte Menschen in die Lage, ruhiger und klarer zu denken und helfen – sehr niedrig dosiert – Ängste zu überwinden.
Tranquilizer werden auch häufig als Schlafmittel verwendet. Diese Gruppe von Medikamenten ist die am häufigsten verschriebene Gruppe von Psychopharmaka. Bekanntester Vertreter ist das Diazepam. Da diese Medikamente zur Abhängigkeit führen können, sollten sie nur bei klarer therapeutischer Zielsetzung eingesetzt werden. Zwei weitere Medikamentengruppen setzt man speziell bei Psychosen ein: Neuroleptika (Antipsychotika) bei der Schizophrenie; sie helfen, die Wahnvorstellungen des Patienten zu verringern und Antidepressiva (Thymostatika), die bei schwerer psychotischer Depression ein Gefühl der Hoffnung geben und die Fähigkeit wieder anhebt, die Dinge des Lebens zu meistern. Die vierte Gruppe von Psychopharmaka sind die Sedativa (wichtigste Substanzklasse: Barbiturate), die in geringer Dosis als Schlafmittel geeignet sind, in höherer Dosis bei einer Narkose Einsatz finden. Dann werden sie als Narkotika bezeichnet.
Elektrokrampf-Therapie: Diese Therapie ist mit zahlreichen Schreckensdarstellungen behaftet, wird aber in Fällen schwerster, mit völliger Antriebslosigkeit verbundener Depression hin und wieder angewandt. Unter strengsten Kontrollbedingungen durchgeführt, birgt sie keine Risiken und wirkt unter gewissen Umständen schneller als Medikamente. Unter Narkose wird durch einen Teil des Schädels einige Sekunden lang schwacher elektrischer Strom geleitet. Die Wirkung gleicht in etwa der Reizstrombehandlung eines geschwächten Muskels. Manche Patienten haben Mühe, sich an kleinere Begebenheiten vor der Behandlung zu erinnern. In der Regel ist diese Amnesie (Gedächtnisstörung) jedoch nur vorübergehend. Pioniere der modernen Psychiatrie Sigmund Freud schuf die Grundlagen der Psychoanalyse.