Medikamente können unerwünschte Nebenwirkungen haben, die oft weder vorhersehbar noch vermeidbar sind. Jeder Arzt muss die erwünschte Wirkung eines Medikaments gegen die Nachteile durch Nebenwirkungen abwägen. Das Ziel, für jede Krankheit spezifische Arzneimittel ohne jede Nebenwirkung herzustellen, liegt noch in weiter Ferne. Zum Schutz des Patienten fordert das Arzneimittelgesetz vom Hersteller, dass die Nebenwirkungen nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft nicht über ein vertretbares Maß hinausgehen.
Jede medikamentöse Therapie besitzt Nebenwirkungen. Je leistungsfähiger eine Arznei ist, um so mehr Nebenwirkungen hat sie auch. Besonders deutlich wird dies im Rahmen der Kortison-Therapie: Kortison kann einen Patienten aus einem lebensbedrohlichen Zustand herausholen, gleichzeitig kann es aber durch die massive Hemmung des Immunsystems eine Infektion begünstigen.
Dosierung verändern
Die Nebenwirkungen reichen von geringfügigen Schwierigkeiten, bei denen es der Arzt nicht für erforderlich hält, das Medikament abzusetzen oder die Dosierung zu verändern, zu ernsten Problemen, die einer Krankenhausbehandlung bedürfen. Ein Medikament kann auf vielerlei Weise eine unerwünschte Wirkung entfalten. In den meisten Fällen ist es der Wirkstoff selbst, der eine Nebenwirkung verursacht. Die Wirkstoffnebenwirkungen sind bei den einzelnen Medikamenten oft sehr typisch, und der Arzt kann den Patienten schon im voraus über die zu erwartenden Nebenwirkungen aufklären, zum Beispiel über Müdigkeit bei blutdrucksenkenden Medikamenten zu Beginn der Therapie.
Auf der anderen Seite können aber auch spontane und nicht zu erwartende Nebenwirkungen auftreten. So kann unter Umständen bei einem Patienten durch einen sehr bewährten Wirkstoff aufgrund allergischer Prozesse ein lebensbedrohlicher Zustand ausgelöst werden, der bei diesem Wirkstoff zuvor noch nie beobachtet wurde. Manchmal können auch unerwartete Nebenwirkungen durch chemische Bestandteile, zum Beispiel durch den Farbstoff in der Medikamentenkapsel, auftreten.
Komplexeste Nebenwirkungen treten wahrscheinlich auf, wenn zwei oder mehr Medikamente gleichzeitig eingenommen werden und sich in ihrer Wirkung gegenseitig beeinflussen. In den letzten Jahren ist dieses Problem mit der wachsenden Zahl der Medikamente immer dringlicher geworden, so dass die Ärzte sorgfältiger als früher mögliche Nebenwirkungen bedenken müssen. Unangenehme Nebenwirkungen sind gerade bei Überdosierungen zu erwarten. Ein entscheidendes Kriterium bei jeder Arzneimitteltherapie ist deshalb die richtige Dosierung. Jahrelange groß angelegte Forschungen führen bei allen Medikamenten zu Dosierungsanweisungen, nach denen der Arzt sich richtet.
Sehr wichtig ist in diesem Zusammenhang die „therapeutische Breite“. Sie bezeichnet den Unterschied zwischen der Dosierung, die eine Heilwirkung hervor ruft, und der Dosis, die zu einer toxischen, also schädigenden Wirkung führt. Je größer dieser Unterschied ist, um so geringer ist die Gefahr, dass durch eine zu hohe Dosis schwere Nebenwirkungen hervorgerufen werden. Bei dem Fingerhutpräparat Digitalis ist diese therapeutische Breite sehr gering. Heute werden Medikamente mit sehr geringer therapeutischer Breite nur noch selten eingesetzt, es sei denn, sie haben eine erwünschte Wirkung, die auf keine andere Weise zu erreichen ist.
Digitalis
Das bekannte Herzmittel Digitalis ist seit 200 Jahren in Gebrauch und war lange Zeit das einzige wirksame Medikament gegen Herzversagen. Digitalis-Präparate zeichnen sich durch eine äußerst geringe therapeutische Breite aus und können deshalb schon bei geringer Überdosierung Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen hervorrufen. Heute ist die Digitalis-Therapie durch die feinere Dosierung für den Patienten um ein Vielfaches erträglicher geworden, weil man jetzt die Digitalis-Konzentration im Blut messen kann. Digitalis steigert die Herzleistung und wird daher hauptsächlich bei Herzschwäche angewendet.
Wenn zwei Medikamente zusammen verabreicht werden, können sie unter Umständen um bestimmte Bindungsorte (Rezeptoren) im Organismus konkurrieren. Die Folge dieser Wechselwirkungen können gravierende Nebenwirkungen wie schwerste Blutungen sein. Aus medizinischer Sicht sind hier die Wechselwirkungen der Cumarinabkömmlinge wie Phenprocuomon mit anderen Medikamenten besonders zu beachten. Die Cumarin abkömmlinge werden zur Vorbeugung eines Herzinfarktes und bei Thrombosen eingesetzt. In ihrem Aufbau ähneln sie dem Vitamin K, das für die Bildung von Blutgerinnungsfaktoren verantwortlich ist. Die Cumarinabkömmlinge wirken hemmend auf die Funktion des Vitamin K, indem sie mit Vitamin K um die Bindungsplätze in der Leber konkurrieren, so dass bestimmte Vitamin-k-Abhängige Vorstufen bei der Blutgerinnung nur unzureichend gebildet werden können. Die Folge ist, dass die Blutgerinnung verzögert wird. Ernährt sich ein Patient Vitamin- Kreich (viel Blattgemüse), muss unter Umständen die Dosierung für gerinnungshemmende Medikamente vom Cumarin-Typ erhöht werden.
Im Blut sind cumarinabhängige Gerinnungshemmer an Eiweißstrukturen (Plasmaproteine) gebunden. Nur ein kleiner, ungebundener Teil ist wirksam. Erhält nun ein Patient noch ein zusätzliches Medikament, wie Acetylsalicylsäure oder Antibiotika, das ebenfalls an Eiweiß gebunden ist, wird die mehr gerinnungshemmende Substanz aktiv, und die Dosierung der Gerinnungshemmer muss gesenkt werden.
Konkurrenz im Blut
Das liegt daran, dass die beiden Medikamente um die Bindungsorte im Blut konkurrieren. Es wird ein Teil der Gerinnungshemmer aus seinem Bindungsort verdrängt, und dadurch wird der wirksame (ungebundene) Teil des gerinnungshemmenden Medikaments erhöht. Die Gerinnungshemmung ist nun erhöht. Wichtig ist, dass ständig Blutgerinnungsuntersuchungen durchgeführt werden, weil der Patient mit einem zu hohen Blutspiegel praktisch zum Bluter wird. Nach Einnahme eines Medikaments wird es anschließend entweder ausgeschieden oder durch den Stoffwechsel des Körpers verändert.
Viele Medikamente werden von den Nieren in aktiver Form ausgeschieden. Das bedeutet, dass bei vielen Patienten, die an leichten Nierenfunktionsstörungen leiden, das Medikament nicht in ausreichendem Maße ausgeschieden wird und seine Konzentration im Blut giftige (toxische) Werte erreichen kann.
Digoxin (ein Abkömmling des Digitalis) ist eines der verbreitetsten Medikamente, die bei Nierenerkrankungen toxisch wirken. Es treten dann folgende Nebenwirkungen auf: Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Unruhe, Verwirrtheit und Krämpfe. Bei Nebenwirkungen weicht der Arzt deshalb auf andere Digitalispräparate aus, die über den Darm ausgeschieden werden.
Aber ähnliche Wirkung kann fast jedes Medikament haben, auch Antibiotika, Mittel gegen Bluthochdruck und Medikamente gegen Diabetes. Wird ein Medikament nicht über die Nieren ausgeschieden, geschieht dies fast immer über Leber und Galle, wobei es oft unwirksam gemacht wird. Auf genau die gleiche Art, wie Nierenfunktionsstörungen bei einer Gruppe von Medikamenten zu Toxizitätsproblemen führen können, so kann auch schon eine leichte Lebererkrankung ähnliche Schwierigkeiten bei anderen Gruppen auslösen. Die Zahl der von Lebererkrankung betroffenen Medikamente ist gering, schließt aber häufig verordnete Arzneien ein. Zustand des Patienten Neben leichten Funktionsstörungen der Leber und der Nieren kann der Zustand eines Patienten auch auf andere Weise davon beeinflusst werden, wie er auf ein bestimmtes Medikament reagiert; was nämlich bei einem Patienten eine normale Dosis ist, kann bei anderen Patienten bereits unerwünschte Nebenwirkungen auslösen.
Es gibt viele Patienten mit Erkrankungen der Atmungsorgane, die keine Beruhigungsmittel oder Schlaftabletten nehmen können, weil diese das Atemzentrum beeinträchtigen. Im allgemeinen sind besonders ältere Menschen überempfindlich gegen viele Medikamente, so dass Nebenwirkungen eine recht häufige Erscheinung sind. Oft muss eine besonders niedrige Dosis verabreicht werden, vor allem bei Medikamenten wie Beruhigungsmitteln und Schlaftabletten. Nebenwirkungen treten auch deshalb bei älteren Menschen häufig auf, weil sie oft mehrere Medikamente gleichzeitig einnehmen müssen. Die Ärzte versuchen in der Regel, die Anzahl der eingenommenen Medikamente zu reduzieren, um solche Risiken zu vermeiden, aber nicht selten weigern sich die Patienten, ein „Lieblingsmittel“ wieder abzusetzen.