Experimentelle Genetik

Durch die experimentelle Genetik und die Möglichkeit der künstlichen Befruchtung steht die Medizin vor einer Revolution, die neben enormen Chancen auch große Risiken für die gesamte Menschheit in sich birgt.

Gene sind die auf den Chromosomen befindlichen Erbfaktoren. Sie können heute übertragen und sogar künstlich verändert werden und dabei dennoch ihre typischen Eigenschaften behalten. Die so behandelten Gene lassen sich dann beliebig oft vervielfachen; diese „Klonierung“ ermöglicht es Wissenschaftlern beispielsweise, wirksamere Impfstoffe zu entwickeln oder Hormone künstlich herzustellen; sie ist aber auch ein Verfahren, das irgendwann die Individualität und Einmaligkeit aller Lebewesen einschließlich des Menschen bedrohen könnte. Dieser Wissenschaftszweig wird auch als Gentechnologie bezeichnet.

Große Verantwortung

Als Eugenik oder Erbhygiene bezeichnet man den Zweig der Wissenschaft, der sich damit befasst, den Erbanlagenbestand der Bevölkerung biologisch zu verbessern. Die Eugenik ist also die praktische Anwendung der Humangenetik. Unter positiver Eugenik versteht man die Förderung genetisch übertragbarer Merkmale wie zum Beispiel Intelligenz. Negative Eugenik – also die Verhinderung der Fortpflanzung von Erbkrankheiten – wird seit Jahrtausenden in allen Kulturen praktiziert. Obwohl zur Eugenik auch Maßnahmen gehören, die das Erbgut schützen, zum Beispiel vor Strahlenbelastungen und chemischen Substanzen, ist dieses Wissenschaftsgebiet nicht unproblematisch, gerade in Hinsicht auf die Möglichkeit, „wünschenswerte“ Erbanlagen durch Klone zu vervielfältigen. Berichte über erste Gentechnologie-Experimente an Bakterien haben zu tiefer Unruhe in der Öffentlichkeit geführt; es wurden Ängste ausgelöst, dass auf unbekannte Weise veränderte, möglicherweise tödliche Bakterien aus den Laboren entweichen und die ganze Menschheit befallen könnten.

Die sich mit experimenteller Genetik befassenden Institutionen halten sich allerdings an strenge Richtlinien und Auflagen. Trotz anhaltender Proteste durch Teile der Öffentlichkeit macht die Gentechnologie große Fortschritte. Dadurch rücken ungeheure Perspektiven in den Bereich des Möglichen – unglaubliche Heilungserfolge scheinen ebenso möglich wie ungeahnte negative Auswirkungen bis hin zum genetischen „Super-GAU“, einer Katastrophe, wie man sie sich kaum vorstellen kann.

Grundlagen der Gentechnologie

Durch Eingriffe in das genetische Material, in der Fachsprache Rekombinationsverfahren genannt, werden neue genetische Merkmale dadurch geschaffen, dass DNS-Moleküle gespalten und neu geordnet werden, so dass damit veränderte Erbinformationen in eine Zelle eingebracht werden. Die DNS (DNS: Desoxyribonukleinsäure; ab und zu auch als DNA bezeichnet – DNA: engl. desoxiribonucleid acid) ist im Grunde genommen nichts anderes als der in jedem Zellkern enthaltene Bauplan für den ganzen Körper; die DNS-Stränge enthalten in codierter Form Informationen darüber, wie der Körper aufgebaut ist – von der Augenfarbe bis zu den Blutkörperchen. Dieser biologische Informationsspeicher wird als genetischer Code bezeichnet. Die aus einer Zelle herausgelöste DNS sieht unter dem Mikroskop wie Spaghetti aus, und wie zwei ineinandergeschlungene Spaghetti kleben die beiden Stränge auch zusammen.

Als Wissenschaftler eine Eiweißart – die sogenannten Restriktionsenzyme – entdeckten, mit der man DNS in einzelne Abschnitte zerlegen kann, die sich dann auf die in ihnen enthaltenen genetischen Informationen untersuchen lassen, bedeutete das eine biologische Revolution. Heute stehen den Wissenschaftlern Hunderte verschiedener „Enzymwerkzeuge“ zur Verfügung, von denen jedes ein bisschen anders wirkt. Ein bestimmtes Restriktionsenzym zerlegt beispielsweise die DNS stets in genau gleich große Stücke. Erst mit den Restriktionsenzymen wurde auch das Klonen möglich. Bei diesem Verfahren wird aus einer einzelnen Zelle oder einem einzelnen Organismus eine Gruppe von Zellen oder Organismen reproduziert; diese Klone sind nun in jeder Hinsicht mit dem ursprünglichen genetischen Material identisch.

Zukunftsvisionen

Viele Forscher warnen eindringlich vor bedrückenden Zukunftsvisionen, wie etwa staatlich geplanten Klonierungen bestimmter Menschentypen, durch die körperlich und geistig völlig identische „Frankensteine“ entstehen. Auf der anderen Seite könnte das weltweite Nahrungsmittelproblem bald gegenstandslos werden, denn das Klonieren von Kulturpflanzen ist ein äußerst Erfolg versprechender Zweig der Gentechnologie. Man kann damit aus einer einzelnen Zelle, die zum Beispiel aus einem Blatt einer sehr ertragreichen Pflanzensorte entnommen wurde, eine mit der Ursprungspflanze identische Pflanze züchten. Das Züchten von schädlingsresistenten und sehr ertragreichen Anbausorten ist ein absehbares Resultat der Gentechnologie.

Erbfehler

Manche Experten für Befruchtung im Reagenzglas sind der Ansicht, dass Erbfehler die häufigste Krankheitsursache sind. Viele dieser Erbfehler können heute schon vor der Geburt entdeckt werden. Zwei der bekanntesten Untersuchungen dazu sind die Chorionbiopsie und die Amniozentese. Bei der Chorionbiopsie wird eine Zellprobe aus der mittleren Eihaut, dem Chorion, entnommen; diese Untersuchung kann schon in der vierten Schwangerschaftswoche durchgeführt werden. Bei der Amniozentese wird das Fruchtwasser, in dem der Fötus schwimmt, untersucht; dieser Test wird im allgemeinen zwischen der 14. und 17. Schwangerschaftswoche durchgeführt. Mit einer Spritze, die in den Unterleib eingeführt wird, entnimmt man eine Probe des Fruchtwassers. Die Flüssigkeit enthält Fruchtwasserzellen sowie fötalen Urin und Sekrete der Atemwege. Durch eine Analyse der Gene in der Flüssigkeit lässt sich feststellen, ob der Fötus genetisch normal ist; man wendet das Verfahren an, wenn ein genetischer Defekt sehr wahrscheinlich ist, weil ein Elternteil an einer Erbkrankheit leidet.

Gensonden-Analyse

Hierbei handelt es sich um ein weiteres Verfahren zur Entdeckung abnormer Gene, die möglicherweise ererbt worden sein könnten. Die DNS besteht aus zwei Strängen, die sich trennen, sobald sie erwärmt werden. Wenn die Stränge sich abkühlen, verbinden sie sich wieder zu zwei Hälften eines Ganzen. Genetiker können in der Wärmephase einen kleinen Strang der entsprechenden DNS einführen, der sein Gegenstück „findet“, wenn die Stränge sich wieder abkühlen, und sich daran festmacht. Dieses Stück DNS, eine sogenannte Sonde, wird mit einem Radioisotop (radioaktiv markiertes Element) markiert und dient dann dazu, einzelne Gene oder in manchen Fällen die Chromosomen selbst zu identifizieren.

Die Duchennesche Muskelatrophie ist ein Beispiel für eine Erkrankung, die durch genetische Forschung verhütet werden kann. Es handelt sich um eine vererbungsbedingte Muskeldegeneration durch Erkrankung der peripheren motorischen Nervenzellen. Das defekte Gen, das diesen Muskelschwund verursacht, kommt überwiegend bei Jungen vor und befindet sich im X-Chromosom. Eine Frau, die Trägerin dieser Krankheit ist, hat ein abnormes Chromosom, so dass eine Wahrscheinlichkeit von 1:1 besteht, dass sie einen Sohn bekommt, der diese Krankheit hat (weil das andere Chromosom völlig normal ist).