Autogenes Training

Kopfschmerzen und Schlafstörungen, Herzbeschwerden und chronische Verstopfung, nervöse Unruhe, Angst und depressive Stimmungen können mit dem autogenen Training gelindert oder behoben werden.

Das autogene Training (AT) ist eine Methode zur Entspannung durch Selbsthypnose. Wörtlich übersetzt bedeutet der Begriff: Aus dem „Selbst“ (griech. autos) entstehendes (griech. genos) „Üben“. Dabei handelt es sich um eine Art Training des Nervensystems, besonders des vegetativen, das im Wechselspiel mit den Hormonen alle Körperfunktionen reguliert. Im Verlauf von zwei bis drei Monaten systematischer Übung gelingt es allmählich, die einzelnen Körperfunktionen und Körperempfindungen zu beeinflussen, die sonst willkürlicher Veränderung nicht zugänglich sind. Zum Beispiel kann die Durchblutung der Hände und Füße verstärkt oder der Rhythmus des Herzschlags verlangsamt werden.

Gezielte Verhaltensänderung

Mit dem autogenen Training ist auch die Änderung des eigenen Verhaltens, eine zielbewusste Selbsterziehung möglich. Zum Beispiel kann der Verzicht auf das Rauchen damit erleichtert werden, man arbeitet konzentrierter oder erliegt nicht so schnell dem Alltagsstress. Vor 70 Jahren wurde das AT von dem Berliner Nervenarzt Professor Johannes Heinrich Schultz (1884-1970) aus wesentlichen Elementen der Hypnose und der Suggestion, dem Yoga und der Gymnastik entwickelt. Tatsächlich vermag fast jede Art von Gymnastik die Muskeln zu lockern und den Körper zu entspannen. Dabei helfen aber im autogenen Training ganz bestimmte Körperhaltungen, die unter anderem an indische Yoga-Übungen erinnern. Die Übungshaltungen im AT entsprechen bestimmten „asanas“, die für den Inder bequemes Sitzen zur Meditation bedeuten.

Die für den Europäer günstigste Haltung beim autogenen Training ist – nach Professor Schultz – die Droschkenkutscherhaltung: Man setzt sich gerade auf eine Bank, einen Hocker ohne Lehne oder vorne auf einen Stuhl, so dass die Lehne vom Rücken entfernt ist. Dann unterlässt man jegliche Muskelarbeit und lässt sich in sich selbst sinken (zusammensacken). Die Arme hängen seitlich locker herunter, der Rücken wird krumm, der Kopf ist etwas nach vorn geneigt. Dabei wird und kann der Oberkörper nicht nach vorn fallen. Denn selbst wenn man die Muskelarbeit unterlässt, wird der Körper vom Skelett, von den Knochen, besonders von der Wirbelsäule, aufrecht gehalten: Man hängt in seinem Knochen-Gelenk-Apparat ohne jede Muskelleistung. Als nächstes werden die Arme locker auf die gespreizten Oberschenkel aufgelegt, und zwar so, dass der Unterarm kurz vor dem Ellbogen vom Oberschenkel unterstützt wird: Man sitzt in der Droschkenkutscherhaltung.

Anfänger erlernen das AT allerdings leichter im Liegen. Man begibt sich in die bequeme Rückenlage, der Nacken wird unterstützt. Die Arme liegen mit leicht gebeugten Ellenbogen neben dem Körper, die Handflächen weisen nach unten. Die Fußspitzen sollen locker nach außen fallen. Außerdem erfordert das autogene Training völliges Stillschweigen.

Die Grundübung

Die Grundübung des AT besteht aus sechs Einzelübungen, die jeweils in etwa 10 bis 14 Tagen erlernt werden können. Zuerst wird das Schweregefühl eingeübt. Die Übung beginnt mit der Formel: „Der rechte Arm ist ganz schwer“. Diese Formel wird nicht gesprochen, sondern soll gleichsam wie ein Endlostonband im Geist wiederholt werden. Man kann sich die Formel auch bildhaft, als Schrift, vorstellen. Andere Gedanken und Vorstellungen sollen dabei ignoriert werden. Nach sechsmaliger konzentrierter Wiederholung der Formel folgt einmal die Vorstellung „Ich bin ganz ruhig“. Danach konzentriert man sich wieder sechsmal auf das Schweregefühl. Spätestens nach einer Minute zeigt sich eine deutliche Empfindung von Schwere, meist in der Ellenbogen- oder Unterarmgegend. Nach etwa einminütiger Konzentration auf die Schwere erfolgt die Zurücknahme dieses Gefühls. Beide Arme werden ein paar Mal mit energischem Ruck gebeugt und gestreckt, es wird tief ein- und ausgeatmet, die während der Übung geschlossenen Augen werden geöffnet. Dabei denkt man die drei Formeln „Arme fest!“ – „tief atmen!“ – „Augen auf!“.

Nach dem rechten Arm geht man zum linken, dann zum rechten und linken Bein über. Die zweite Übung zielt auf das Wärmegefühl zur Entspannung der Blutgefäße ab. Ablauf und Gliederung gestalten sich wieder wie bei der Schwere-Übung. Man konzentriert sich jeweils sechs mal auf den rechten und linken Arm, dann auf das rechte und linke Bein. Als dritte Übung folgt die Herzregulierung mit der Formel „Herz schlägt ruhig und kräftig“. Menschen‘ die leicht erregbar sind, benutzen eine andere Formel: „Herz schlägt ruhig und regelmäßig“. Durch die vierte Übung erfolgt die Atemeinstellung mit der Suggestion „Es atmet mich“ oder „Es atmet in mir“. Dabei soll man sich „der Atmung hingeben wie beim Schwimmen… in passiver Rückenlage“. Bei der fünften Übung wird der größte Nervenknoten des Bauchraumes, das Sonnengeflecht, verstärkt durchblutet. Es liegt an der hinteren Bauchwand etwa in der Mitte zwischen Nabel und unterem Ende des Brustbeins. Man konzentriert sich auf diesen Bereich mit der Formel „Ruhe, Schwere, Wärme, Sonnengeflecht strömend warm“. Mit der sechsten Übung wird dann der Kopf gekühlt. „Stirn angenehm kühl“, heißt die Übungsformel, mit der verhindert wird, dass durch das Wärmetraining zuviel Blut in den Kopf steigt.

Regelmäßiges Üben

Mindestens einmal täglich muss diese sechsteilige Grundübung von der Gliederschwere bis zur kühlen Stirn trainiert werden, besser zwei- bis dreimal täglich, um in den folgenden vier bis sechs Monaten den Übungserfolg zu festigen. So lernt der Organismus, sich tief zu entspannen und beim Zurücknehmen der Übung wieder aktiv anzupassen. Damit ist es eines Tages dem Übenden möglich, jederzeit auf Entspannung oder Spannung „umzuschalten“. Mitten in der Arbeit am Schreibtisch kann er plötzlich ohne die besondere Übungshaltung z. B. Schultern und Nacken allein entspannen, um aufkommende Kopfschmerzen und Erschöpfung zu bannen.

Weniger Medikamente

Am wirksamsten ist das autogene Training bei Kopfschmerzen, Herz-Kreislauf-Beschwerden, nervöser Unruhe, Angstzuständen und depressiven Stimmungen. Vor allem bei jüngeren Menschen kann auf diese Weise Bluthochdruck so günstig beeinflusst werden, dass weniger Medikamente notwendig sind. Durchblutungsstörungen in Händen und Füßen werden wirksam beseitigt. Magen und Darm werden beruhigt, Geschwüre im Magen und Zwölffingerdarm heilen schneller aus, es kommt nicht mehr so bald zu Rückfällen. Besonders gut wirkt das autogene Training gegen Schlafstörungen und chronische Verstopfung. So können autogen trainierte Menschen ihren Schlaf praktisch sofort eintreten lassen und ohne Wecker zu einer gewünschten Zeit erwachen. Wer mit Ausdauer trainiert, wird „unvermeidlich ein ruhigerer und gelassenerer Zeitgenosse“, fand Professor Schultz. „Ich kann mich nicht mehr ärgern“, sagen viele Übende schon nach wenigen Monaten.

Wichtig dabei ist, dass der Ärger nicht etwa verdrängt wird, sondern sozusagen wie von selbst verschwindet: Er kommt aufgrund der körperlich-seelischen Entspannung gar nicht erst auf. Durch sogenannte formelhafte Vorsätze kann auch Verhalten geändert oder Leistung gesteigert werden. So wie man übt, der „Arm ist warm“, so kann man auch üben: „Sparsamkeit ist Freude“, „Ordnung ist Freiheit“, „Schreibtisch wird aufgeräumt“, „Brief wird geschrieben“. Diese formelhaften Vorsätze wirken wie jene Suggestionen, die der Hypnotiseur seinem Medium gibt und die nach Beendigung der Hypnose gleichsam zwanghaft erfüllt werden. Am einfachsten wird das autogene Training in Gruppen erlernt. Auf keinen Fall darf man es ohne die Anleitung eines Arztes oder Psychologen allein aus Büchern oder von Schallplatten lernen. Es kann zu Fehlreaktionen kommen. Statt sich zu entspannen, werden Verspannungen verstärkt, wodurch dann zum Beispiel Kopfschmerzen schlimmer sind als vorher. Im allgemeinen genügen aber ein Seminar mit einem Einführungsvortrag, sechs Übungssitzungen und einer Wiederholungssitzung. Solche Kurse werden an vielen Volkshochschulen angeboten.